Wer ein Musikinstrument erlernen möchte, muss üben. Wer die Musik gar zu seinem Beruf machen möchte, muss viele tausend Stunden mit seinem Instrument verbringen. „Für den Körper sind das Extrembelastungen, die mit denen eines Leistungssportlers vergleichbar sind“, sagt Dagmar Wolff. Genauso selbstverständlich wie für Sportler sollte es daher ein physiotherapeutisches Betreuungsangebot auch für Musiker geben, fordert die Pianistin, promovierte Pädagogin und Physiotherapeutin in der Fachzeitschrift „physiopraxis“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010).
Das Spielen eines Instruments erfordert stereotype Haltungs- und Bewegungsmuster, die einzelne Körperteile großen Belastungen aussetzen. „Viele Musiker setzen diesen zu selten Ausgleichsbewegungen entgegen“, erläutert Dagmar Wolff in dem Artikel, den sie gemeinsam mit der Basler Physiotherapeutin Johanna Gutzwiller verfasst hat. Überlastungserscheinungen wie Sehnenscheidenentzündungen, Muskelschmerzen oder schnelle Ermüdbarkeit zwingen die Musiker oft zu wochenlangen Pausen. Weitere Spielerkrankungen werden durch schlechte Lichtverhältnisse, Zugluft, Reisestress und Lampenfieber ausgelöst.
Bei der Diagnose können die Therapeuten teilweise auf Verfahren aus der Sportmedizin und Sportphysiotherapie zurückgreifen. „Dieses Instrumentarium reicht jedoch bei weitem nicht aus“, so Wolff und Gutzwiller. Für jedes Instrument gebe es eigens entwickelte Befundbögen. Bei der funktionellen Analyse achtet der Therapeut auf Haltungsbesonderheiten mit und ohne Instrument und beobachtet den Patienten während des Spiels. Dabei muss er auch das jeweilige Stück und den Interpretationsansatz berücksichtigen. „Musikalisches Grundverständnis und die tiefgreifende Kenntnis instrumentenspezifischer Besonderheiten ist für die Arbeit als Musikerphysiotherapeut unerlässlich“, betonen die beiden Therapeutinnen.
Ein Hauptziel der Therapie ist es, die Wahrnehmung des Musikers für eine gesunde Spielweise zu fördern. Gemeinsam entwickeln Musiker und Therapeut physiologische Spielstrategien, die die körperliche Belastung minimieren. Ein besonderes Einspielprogramm kann beispielsweise dabei helfen, die Spielbewegungen physiologisch anzubahnen und die Belastung innerhalb einer Übesequenz sinnvoll zu steigern. Die gemeinsam erarbeiteten Strategien sollten alle relevanten Bewegungsabläufe umfassen und sie so anpassen, dass das Risiko einer erneuten Verletzung so gering wie möglich ist. „Diese Arbeit am Instrument erleben Musiker meist als sehr inspirierend“, sagt Dagmar Wolff. „Sie versetzt sie in die Lage, die eigenen Bewegungsmuster besser wahrzunehmen, zu analysieren und zu optimieren.“ Gelingt dies, kann der Musiker letztlich selbst seine Übungen erstellen und seine Spielweise kontinuierlich so weiterentwickeln, dass er nicht wieder in Konflikt mit seinem Körper gerät.
Quelle:
D. Wolff, J. Gutzwiller:
Kein Himmel voller Geigen. Musikerphysiotherapie – ein Fach mit Zukunft
physiopraxis 2010; 8 (6): S. 32-35