ZOPA© – Das Zurich Observation Pain Assessment
Schmerzen – ob akut oder chronisch – gehören zu den leidvollsten menschlichen Erfahrungen und beeinflussen die Lebensqualität der Betroffenen. Vor allem Menschen, die unfähig sind, ihre Schmerzen zu kommunizieren, sind einem hohen Risiko für eine inadäquate Schmerzbehandlung ausgesetzt.
Die gilt ganz besonders für beatmete, sedierte und temporär kognitiv beeinträchtigte Patienten. Sie sind auf Pflegende angewiesen, die ihre Leidenssituation erfassen und lindern können. Wie stark ein Schmerz ist, weiss jedoch nur der Betroffene selbst. Außenstehende können dies oft nur unzutreffend einschätzen, wie Studien belegen.
Bei kognitiv- und/oder bewusstseinsbeeinträchtigten Patienten eine Schmerztherapie einzuleiten, stellt eine große Herausforderung für Pflegende dar. Oft erfassen sie die Schmerzen bei dieser Patientengruppe „intuitiv“, ohne sich auf systematische, objektiv nachvollziehbare Kriterien stützen zu können.
Für diese problematische Situation bietet das Schmerzassessment ZOPA© Lösungen an. Entwickelt und implementiert wurde es von Pflegewissenschaftlerinnen des Zentrums für Entwicklung und Forschung in der Pflege am UniversitätsSpital Zürich (ZEFP) zusammen mit zwei Pflegewissenschaftlerinnen der Universität Witten/Herdecke und in enger Zusammenarbeit mit Pflegenden aus der Praxis. Ihr Ziel war es, sicher zu stellen, dass Menschen mit einer kognitiven und/oder Bewusstseinsbeeinträchtigung keinen unerkannten und unbehandelten Schmerzen ausgesetzt sind.
Die Verwendung eines strukturierten Assessmentinstrumentes unterstützt die sonst rein subjektive Einschätzung des Gesundheitspersonals durch systematische Objektivierung von Verhaltensmerkmalen und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit einer adäquaten Beurteilung.
Das Fremdeinschätzungsinstrument ZOPA© erfasst den Schmerz in vier Verhaltenskategorien: Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Körpersprache und physiologische Indikatoren.
Diese vier Kategorien beinhalten 13 Verhaltensmerkmale, die genau definiert wurden. Stöhnende Laute, ein verzerrter, gequälter Gesichtsausdruck, Ruhelosigkeit oder Veränderungen in den Vitalzeichen gelten beispielsweise als Hinweise auf Schmerzen.
Das Instrument erhebt eindimensional, ob Schmerz vorhanden ist. Es nimmt keine Gewichtung der Verhaltensmerkmale vor. Auch wenn mehrere Verhaltensmerkmale beobachtet werden, ist dadurch eine Aussage zur Schmerzintensität nicht möglich. Die NRS (Numerische Rating-Skala) und die VRS (Verbale Rating-Skala) geben Hinweise auf die Schmerzintensität. Mit dem ZOPA© können Anzeichen von Schmerzen erfasst, aber keine Aussagen über die Schmerzintensität abgeleitet werden.
«Schmerz ist, wenn die Patienten sagen, dass sie Schmerzen haben». Mit dieser Aussage betonte Margo McCaffery, dass die Selbstauskunft von Betroffenen immer den Vorrang haben sollte vor einer Fremdeinschätzung (McCaffery, 1997). Woran können Pflegende jedoch erkennen, dass ein Patient nicht mehr selbst Auskunft geben kann? Diese Frage muss geklärt werden, bevor das ZOPA© als Fremdeinschätzungsinstrument eingesetzt wird. Mithilfe eines Algorithmus können Pflegende anschaulich Schritt für Schritt nachvollziehen, für welchen Patienten ZOPA© das geeignete Instrument ist.
Ist eine Selbsteinschätzung noch möglich, kann der Patient mittels NRS oder VRS aufzeigen, wie stark seine Schmerzen sind. Ob ein Patient kognitiv- und/oder bewusstseinsbeeinträchtigt ist, lässt sich mithilfe folgender Assessments überprüfen: Zur Einschätzung der Kognition dient der Mini Mental State-Test (MMST), das Bewusstsein wird durch die Glasgow Coma Scale für Erwachsene (GCS) erfasst. Eine quantitative Beurteilung der Bewusstseinslage oder Sedierungstiefe leistet die Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS).
Die Pflegenden am USZ arbeiten mit den sogenannten ZEFP-Diagnosen. Wird bei einem Patienten die Pflegediagnose Bewusstseinsveränderung, gestörtes Kurzzeitgedächtnis, Desorientierung oder gestörtes Sprachverständnis gestellt, wird davon ausgegangen, dass eine Selbsteinschätzung nicht mehr zuverlässig ist. Es erfolgt die Einschätzung von Schmerz mittels ZOPA©. Die Entscheidung zur Fremdein- schätzung von Schmerz kann aber auch durch die pflegerische Expertise begründet sein, ohne dass eine der Diagnosen gestellt wird.
Zur Schmerzdokumentation wurde ein standardisiertes Schmerzprotokoll mit einem Leitfaden entwickelt. Mindestens einmal pro Schicht bestimmen und dokumentieren die Pflegenden mittels ZOPA© den akuten Schmerz anhand der 13 Verhaltensmerkmale. Spätestens 45 Minuten nach Schmerzmittelgabe prüfen sie, ob die Dosis wirksam war. Sie schätzen den Schmerz des Patienten erneut ein und notieren das Ergebnis im Schmerzprotokoll. So sorgen sie für ein ständig aktualisiertes und individuelles Schmerzmanagement. Mindestens 72 Stunden lang führen sie das Schmerzprotokoll. Alle 24 Stunden werten sie seinen Verlauf aus und beraten, wie die Basis- bzw. Reservemedikation optimal angepasst werden kann.
ZOPA© wurde im Lauf seiner Entwicklung verschiedenen wissenschaftlichen Tests unterzogen, d. h. es wurde auf seine Inhaltsvalidität, Interrater-Reliabilität und Konstruktvalidität geprüft.
Aufgrund der positiven Ergebnisse wird es seither auf den Bettenstationen der Neurochirurgie, Neurologie sowie den dazu gehörenden Intensivstationen sowie der interdisziplinären Überwachungsstation des UniversitätsSpitals Zürich routinemäsßig eingesetzt. Das ZOPA© kann eine Lücke in der Schmerzerfassung akutkranker Patienten mit kognitiven- und/oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen schließen.
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Algorithmus = genau definierte Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems.
Literatur
Mc Cafferey, M.; Beebe, A.; Latham, J. (1997): Schmerz. Ein Handbuch für die Pflegepraxis. Ullstein Mosby, Berlin/Wiesbaden.
Handel, E. (2009): Praxishandbuch ZOPA©. Schmerzeinschätzung bei Patienten mit kognitiven und/oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen. Bern: Verlag Hans Huber.
E-Mail der Autorin E. Handel: elisabeth.handel@usz.ch