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Patientenbildung
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Selbstverantwortung im Gesundheitswesen, diskutiert am Medikamentenmanagement aus Sicht chronisch kranker Patienten

 

J.W. Haslbeck und D. Schaeffer stellen die Frage, wie weitgehend die Postulate von Autonomie und Selbstverantwortung in komplexen Krankheitssituationen angemessen sind und ob sich die Eigenverantwortung mit den Bedürfnissen der Betroffenen deckt.

 

Die im Sinn der Grounded Theory angelegte Longitudinalstudie (n=27, drei Befragungen innert 11 Monaten) zeigt, dass Problemsicht und Alltagsschwierigkeiten noch immer weitgehend unbeachtet bleiben. Zudem zeigt die Studie Mängel auf bei der inhaltlichen Auswahl dessen was an Erkrankte vermittelt werden soll.


Steigende Kosten, besonders im Bereich der Medikation, machen es ökonomisch interessant, dem Patienten mehr Selbstverantwortung bei der Therapie zu geben. Die Frage, ob die Konzepte zur Übertragung von Selbstverantwortung (Empowerrment) den Bedürfnissen der Patienten überhaupt entsprechen, ist dabei kaum berücksichtigt. Die Autoren untersuchen dies mit Hilfe von Interviews in zunehmend komplexer werdenden Situationen und kommen dabei zum Schluss, es reiche für ein optimales Medikamentenmanagement nicht aus, die Betroffenen über die Krankheit und die Medikamente zu schulen, vielmehr sei es notwendig systematisch Fertigkeiten zu vermitteln, die in chronischen Krankheitssituationen im Alltag helfen.

Da chronisch Erkrankte häufig intensiver und komplexer therapeutischer Massnahmen bedürfen, fällt die Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme (compliance) bei dieser Patientengruppe besonders ins Gewicht. So empfiehlt der deutsche Sachverständigenrat, die Patienten in Therapieentscheidungen einzubeziehen, um die Compliance zu verbessern. Diese Empfehlung beruht auf der Annahme, an Entscheidprozessen beteiligte Erkrankte wiesen mehr Verantwortungsbewusstsein und Therapietreue auf; zudem fördere die Beteiligung deren Lebensqualität. Aus Konsumenten sollen aktive Partner werden.


Die Konzepte, welche den Ansatz "Patient als Partner" verfechten, wie Shared Decision Making oder Selbstmanagementförderung bei  chronischen Krankheiten, werden als zukunftsgerichtet angesehen. Im Shared Decision Making nehmen Arzt und Patient gemeinsam Therapieentscheidungen vor, die sie dann auch beide verantworten. Dabei erfragt der Arzt die Vorstellungen, Sorgen und Erwartungen des Patienten, auch hinsichtlich Mitbeteiligung an kommenden Entscheiden. Ziel ist, die erkrankte Person zu Ko-Produzenten für die Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit zu machen und die individuellen Informationsbedürfnisse und Vorlieben besser zu berücksichtigen.

Bei der Selbstmanagementförderung geht es darum, chronisch Erkrankte bei der Bewältigung krankheitsbedingter Situationen zu unterstützen. Es geht um das eigenständige Fällen, die Planung und Durchführung von Entscheiden, um die Nutzung von Ressourcen und den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu den Gesundheitsprofessionen.


Bei den Untersuchten lag vorwiegend eine kardiologisch Diagnose vor (n=21). Der Rest teilt sich in HIV-Positive und an AIDS Erkrankte auf. Die Informanten kamen aus drei verschiedenen Regionen Deutschlands und waren zwischen 35 und 81 Jahre alt sowie seit mindestens 8.5 Jahren erkrankt. Sie nahmen im Mittel 6 Medikamente zu zwei Tageszeitpunkten ein.


Ergebnisse und Diskussion
Die Informanten bezeichnen den Beginn ihrer Krankheit häufig als tief greifender Einschnitt im Leben. Am Anfang habe man das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Die Erkrankten sind damit beschäftigt, das Geschehen zu verarbeiten, und so bleiben die gerade zu Beginn zahlreichen medikamenten- und krankheitsbezogenen Informationen unverarbeitet. Medikamente werden in der Anfangsphase als Weg aus der Krise zurück in den Alltag betrachtet. Sie werden daher oft kritiklos eingenommen. In der Akutphase erleben es die Erkrankten oft als Entlastung, wenn sie Entscheidungen delegieren können.

Sobald der Gesundheitszustand stabilisiert ist, kehrt auch die Handlungsfähigkeit  zurück. Die Erkrankten erkennen, dass sie mit der Krankheit leben müssen. Oft verstehen sie die Krankheit und deren Medikation nicht, da die Gesundheitsprofessionen eine ihnen unverständliche Sprache sprechen. Hier beginnen viele, besonders ältere Patienten, selber Erkundigungen einzuziehen. Dies geschieht via Internet, Tageszeitungen, Beipackzetteln und Magazinen. So verschaffen sie sich die Möglichkeit eines selbstbestimmteren Umgangs mit ihrer Krankheit und den Gesundheitsprofessionen. Dabei zeigt sich zuweilen, dass das Fachpersonal, besonders Ärzte, kritischen Patienten nicht zustimmend begegnet. Eine solche Haltung wirkt emanzipatorischen Ansätzen entgegen.


Im Verlauf chronischer Krankheiten kommt es oft zu Komorbidität auch durch Medikamentennebenwirkungen. Der Erkrankte muss dann das Medikament wechseln; er kann Krankheitszeichen nicht von neuen Nebenwirkungen, oder Alterungsprozessen unterscheiden. In dieser Phase kann sich die Medikation vom Heilsbringer zum Gegenstand von Aversion verwandeln. Patienten sehen sich angesichts des dauerhaften Krankseins und progressiver Verläufe in ihrer ursprünglichen Hoffnung getäuscht, die Erkrankung stabil halten zu können. Medikamente wandeln sich zum Synonym für Krankheit. Patienten versuchen die zunehmende 'Medikalisierung' ihres Lebens zu verhindern, indem sie Einnahmezeitpunkte und Dosierungen ändern, oder die Einnahme ganz abbrechen. Dies dient dazu, die Verhältnismässigkeit zwischen Einsatz der Mittel und Krankheitsverlauf wieder her zu stellen, wieder Kontrolle zu haben und die Komplexität der Therapie herabzusetzen. Diese Experimente werden teilweise ohne Wissen des Arztes durchgeführt.

Die Selbstmanagementstrategien der Erkrankten sind mithin labil. In der Arztpraxis lassen sich ihre Alltagsprobleme oft nicht befriedigend artikulieren; die Ärztin reagiert mit der Diagnose 'Non-Compliance'. Die auf Seiten der Gesundheitsprofessionen unternommenen Anstrengungen zielen meist auf spitalinterne und Arztpraxen-bezogene Abläufe, wohingegen die effektiven Probleme im Alltag der Patienten liegen.
Es bestehen also zwei Dilemmata zwischen den Konzepten des Empowerments und der Realität chronisch Erkrankter, nämlich, in der ersten Phase die relative Überforderung durch ein Zuviel an Information. Im weiteren Krankheitsverlauf begegnet der mit zunehmender Komplexität konfrontierte Patient Verrmittlungskonzepten, die den Alltag des Patienten ausser Acht lassen.

Die Autoren empfehlen, hier mit Verbesserungen anzusetzen. Die Annahme, medikamenten- und krankheitsbezogene Informationen steigerten automatisch die Compliance, ist unrichtig. Hingegen ist eine der Situation des chronisch Erkrankten angepasste fortlaufende Information notwendig. Hierzu wird der Ausbau kommunikativer Kompetenzen bei den Gesundheitsprofessionen angemahnt, die einbezieht, dass die reine Informationsvermittlung nicht ausreicht, sondern der Alltag des Patienten und die Entwicklung seiner Erkrankung angemessen berücksichtigt werden muss.

 

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