Ein Konsortium von führenden europäischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen bündelt Expertise zur Realisierung einer neuen Generation neuroprothetischer Systeme. Mit deren Hilfe soll es zukünftig möglich werden, Bewegungsfunktionen nach schweren Rückenmarksverletzungen wieder herzustellen und die Symptome der Parkinsonerkrankung wirkungsvoll zu lindern. Das Projekt NEUWalk startete am 1. Juni 2010 und wird anteilig mit einer Summe von fast 9 Millionen Euro durch das 7. EU-Rahmenprogramm für Forschung und Technologische Entwicklung finanziert.
Von Rückenmarksverletzungen und Parkinsonerkrankung sind weltweit etwa 6,6 Millionen Menschen betroffen. Hiermit verbundene Kosten werden auf 16 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Bislang gibt es keine wirksame Behandlungsmethode, um das motorische Leistungsvermögen von schwer gelähmten Menschen zu verbessern. Heutige chirurgische Verfahren für die Behandlung der Parkinson-Symptomatik bestehen in der komplexen und hoch-invasiven Prozedur der Tiefenhirnstimulation mittels implantierter Elektroden.
Ziel von NEUWalk ist es, ein neuroprothetisches Schnittstellensystem zwischen Gehirn und Rückenmark zu entwickeln, das es zukünftig erlauben soll, die spontanen Bewegungsfunktionen bei Menschen mit schweren Rückenmarksverletzungen wieder herzustellen. Darüber hinaus wird eine weniger invasive und sicherere chirurgische Methode zur Linderung der Symptome einer Parkinsonerkrankung erwartet. Die Entwicklungsarbeiten bauen auf den an der Universität Zürich, Schweiz, in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Grégoire Courtine gewonnenen Erkenntnissen auf, der auch wissenschaftlicher Manager in NEUWalk ist. Hier wurden in Voruntersuchungen die weitreichenden Möglichkeiten der pharmakologischen und elektrischen Stimulation des Rückenmarks bereits eindrucksvoll demonstriert: Mittels Rückenmarksstimulation in Kombination mit einem Rehabilitationstraining können querschnittsgelähmte Ratten die Laufbewegung bei vollständigem Tragen ihres eigenen Gewichtes wieder ausführen.
NEUWalk wird dabei hochentwickelte Dekodierungsalgorithmen zur Anwendung bringen, um aus der Echtzeitaufzeichnung von Hirnsignalen die auf die Fortbewegungsabsicht bezogene Informationen zu extrahieren und in geeignete Protokolle zur Rückenmarksstimulation übersetzen, die die Bewegungsfunktionen auslösen. Die Partner der Universität Bordeaux, die Begründer der Tiefenhirnstimulation ist, werden die Möglichkeiten der neuroprothetischen Konzepte von NEUWalk zur Behandlung der Parkinson-Symptomatik evaluieren.
Die Realisierung dieser neuartigen Generation von Neuroprothesen erfordert das Beschreiten neuer Lösungswege, die auf mikrotechnologischen und mikroelektronischen Spitzenverfahren beruhen. Hierzu gehören insbesondere flexible, implantierbare Multielektroden und mikroprozessorgesteuerte Neuroprothesen, die sowohl kabellose Energie- und Signalübertragung als auch hochentwickelte Möglichkeiten der Neurostimulation sowie neuronaler Aufzeichnung und Auswertung in sich vereinen. Zur beschleunigten Umsetzung in Richtung klinischer Anwendung sind erste Untersuchungen an Menschen mit schweren Rückenmarksverletzungen vorgesehen.
Dr. Peter Detemple, Leiter der Abteilung Mikrostrukturierung und Sensorik am IMM und Koordinator von NEUWalk: “Die potenzielle Bedeutung der in NEUWalk entwickelten mikrotechnologischen und mikroelektronischen Lösungen als auch der neurochirurgischen Behandlungsstrategien ist enorm, sowohl für sich allein als auch insgesamt betrachtet. Diese neuen Konzepte werden die Wege zu erweiterten klinischen Anwendungen eröffnen und einen bedeutsamen Beitrag zum Fortschritt in der Neuroprothetik leisten.“
Liste der Projektpartner
- Institut für Mikrotechnik Mainz GmbH (IMM), Deutschland (Koordinator)
Universität Zürich (UTH), Schweiz
- Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH), Schweiz
- Scuola Superiore di Studi Universitari e di Perfezionamento Sant’Anna (SSSA), Italien
- University College London, Großbritannien
- Université Victor Segalen Bordeaux II, Frankreich
- inomed Medizintechnik GmbH, Deutschland
- Mega Elektroniikka OY, Finnland
- Finetech Medical Ltd., Großbritannien
Meldung von Stefan Kiesewalter, Marketing - Unternehmenskommunikation, Institut für Mikrotechnik Mainz GmbH vom 28.07.2010