Opioide werden als vermeintlich besonders starke Schmerzmittel zunehmend auch bei chronischen Schmerzen, die nicht durch Tumore bedingt sind, wie Gelenk- oder Rückenschmerzen, verordnet. Sie wirken aber dagegen nur wenig besser als andere Schmerzmedikamente. Das hat die erste wissenschaftliche Auswertung kontrollierter Studien im Auftrag der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) ergeben.
In einer darauf basierenden Leitlinie empfehlen die Spezialisten, die Schmerzmedikation für jeden Patienten individuell festzusetzen und immer auch begleitende Maßnahmen wie Problemlösestrategien, Verhaltens- oder Physiotherapie einzusetzen. "Von zu großen Hoffnungen auf die Wirkung von Opioden bei chronischem Schmerz müssen wir uns verabschieden und uns mehr auf schädliche Nebenwirkungen wie z.B. Suchtpotential, Aufmerksamkeits- und Antriebsstörungen konzentrieren", sagt Prof. Dr. Christoph Stein, Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Charité und Freien Universität Berlin und Mitglied des Expertengremiums.
Opioide sind nicht immer erste Wahl
"Das Ergebnis dieser S3-Leitlinie wird die Fachwelt noch lange beschäftigen", schätzt Prof. Rolf-Detlef Treede, Präsident der DGSS. Denn die vermeintlich besonders stark wirksamen Opioide lindern außerhalb ihres klassischen Anwendungsbereichs (Schmerzen nach Operationen, Tumorschmerzen) den Schmerz nicht wesentlich besser als andere Medikamente. Bei länger dauernder Einnahme schwächt sich ihre Wirkung sogar eher noch ab; über die für eine Neuzulassung von Medikamenten vorgeschriebene Anwendungsdauer von drei Monaten hinaus liegen so gut wie keine Daten vor. "Fest steht: Opioide sind bei nicht-tumorbedingten Schmerzen nicht die erste Wahl", so Treede. Gegen Nervenschmerz gibt es mit weiterentwickelten Anti-Epileptika und Anti-Depressiva inzwischen andere wirksame Mittel. Bei Gelenkschmerzen sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID, wie Aspirin oder Ibuprofen) und Coxibe eine Alternative. "Hier gilt es, die jeweiligen Nebenwirkungen gegeneinander abzuwägen, bevor man die Therapieentscheidung trifft", so Treede. Überhaupt kommt es den Experten zufolge bei der Wahl der Behandlung auf die Diagnose und andere individuelle Faktoren des Patienten an.
Erste groß angelegte wissenschaftliche Auswertung
Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Kontroversen bezüglich der Wirksamkeit und zunehmender Berichte über schädliche Nebenwirkungen von Schmerzmedikamenten hatte die DGSS vor fünf Jahren eine auf methodisch einwandfreien veröffentlichten Studien basierende S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS) in Auftrag gegeben. Für die Analyse und Bewertung wurde aus 16 deutschen Fachgesellschaften und Patientenverbänden ein 35-köpfiges Experten-Team gebildet. Das Team wählte nach strengsten wissenschaftlichen Maßstäben die hochwertigsten Studien aus über 960 Veröffentlichungen in wissenschaftlich begutachteten Fachzeitschriften aus. Darin wurden über 18.000 Patienten in randomisiert, doppelblind und kontrolliert durchgeführten Vergleichen untersucht. Die Daten wurden nach der renommierten Cochrane-Methodik analysiert. Mittels wissenschaftlich etablierter statistischer Verfahren wurde die schmerzstillende Wirkung von Morphin- (Opioide) und Aspirin-ähnlichen (NSAIDs) Medikamenten verglichen. Bei Langzeitanwendung erwirkte jedes dieser Medikamente für sich alleine zwar eine statistisch signifikante, aber insgesamt nur relativ geringe Schmerzlinderung. Nach festgelegten Regeln (Delphi-Verfahren) der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) leitete das Team daraus Behandlungsempfehlungen für Patienten mit chronischem, nicht durch Tumorerkrankungen verursachtem Schmerz ab. "Damit liegt erstmals eine auf höchstem wissenschaftlichem Niveau aufwändig und unabhängig erarbeitete Behandlungsleitlinie für diese Patienten vor", so Prof. Hardo Sorgatz, federführender Autor von LONTS. "Die Leitlinie kann einem in anderen Ländern bereits kritisierten zu freizügigen Umgang mit opioidhaltigen Analgetika vorbeugen. Vielleicht bleibt dem deutschen Gesundheitssystem so die von der FDA für die USA bereits angekündigte stärkere Reglementierung der Verschreibung dieser Analgetika erspart."
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Meldung von Meike Drießen, Pressestelle, Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS), vom 24.03.2010.