In den Spitälern passieren immer noch zu viele Fehler; solch unerwünschte Ereignisse sind eine Gefahr für Patienten. Doch wie reagieren Ärzte und Pflegefachpersonen, wenn sie konkrete Sicherheitsbedenken haben? Wenn zum Beispiel einem Assistenzarzt auffällt, dass der Oberarzt die Händedesinfektion vergass? Oder eine Pflegefachfrau ein falsch ausgefülltes Verordnungsblatt bemerkt?
Der Umgang mit Sicherheitsbedenken in der Onkologie
Die Kommunikation in Behandlungsteams und die Frage, ob und wie Mitarbeiter konkrete Sicherheitsbedenken äussern, sind wichtige Elemente für die Patientensicherheit, auch in der Behandlung von Krebspatienten. Deshalb führte Patientensicherheit Schweiz vom Februar 2013 bis April 2014 eine Studie zum Thema „Kommunikation von Sicherheitsbedenken in der Onkologie“ durch. In qualitativen Interviews und einer schriftlichen Befragung von Ärzten und Pflegefachpersonen in neun onkologischen Abteilungen der Schweiz untersuchte Prof. Dr. David Schwappach, wissenschaftlicher Leiter von Patientensicherheit Schweiz, wie häufig Ärzte und Pflegefachpersonen Sicherheitsbedenken haben, ob und wie sie ihre Kollegen auf Fehler oder riskante Verhaltensweisen ansprechen und welche Faktoren dafür entscheidend sind.
Mitarbeitende haben häufig Sicherheitsbedenken
Die Studienergebnisse zeigen, dass Ärzte und Pflegefachpersonen häufig Situationen erleben, die Nachfragen, Hinweise und Abklärung erfordern. Oft wird die nonverbale Kommunikation wie Gesten und Mimik genutzt, um Kollegen auf Sicherheitsregeln und -bedenken hinzuweisen. So berichtet eine Pflegefachfrau, dass sie beispielsweise Handschuhe reicht und hofft, dass diese Geste beim Arzt verstanden wird; eine Assistenzärztin zieht jeweils die Maske selber an und hofft, dass der Oberarzt ihrem Beispiel folgt.
In der Medikationssicherheit, z.B. bei Unklarheiten oder Fehlern bei Verordnungen, ist die Kommunikationskultur in der Onkologie bereits sehr gut etabliert. Im Gegensatz dazu werden Verletzungen von Sicherheitsregeln oder -standards im Bereich der Hygiene, der Isolation, bei invasiven Eingriffen, aber auch Zweifel an Behandlungsentscheiden häufig nicht ausgesprochen. Ärzte und Pflegefachleute berichten, dass es oft schwer sei, zur richtigen Zeit den richtigen Ton zu finden. Gerade jüngere und hierarchisch tiefere Mitarbeitende wägen genau ab, ob und wie sie Kollegen oder Vorgesetzte auf einen Fehler oder ein Risiko hinweisen, und halten Bedenken häufig zurück.
Komplexe Abwägungen – oft binnen Sekunden
Es ist den Ärzten und Pflegefachfrauen immer ein Anliegen, die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Dennoch zu schweigen, obwohl sie ein Risiko für Patienten beobachten, ist oft das Ergebnis einer komplexen Abwägungssituation, in die viele Faktoren einfliessen: die Sorge, soziale Beziehungen zu gefährden, Kollegen blosszustellen, die Reaktion des Gegenübers nicht abschätzen zu können oder Patienten zu verunsichern. Die Kultur und das Vertrauen in Vorgesetzte und Kollegen in der entsprechenden Spitalabteilung sind entscheidende Faktoren, wie mit Sicherheitsbedenken umgegangen wird.
Zielgerichtetes Kommunikationstraining kann helfen
Aus den Studienergebnissen lassen sich viele konkrete Hinweise für Verbesserungen der Patientensicherheit in der Praxis ableiten. Besonders wichtig ist, dass die Führungspersonen die Bedeutung des „speak up“ für die Patientensicherheit immer wieder betonen und ihre Mitarbeitenden ermuntern, dies zu tun. Die Studienergebnisse beschreiben sehr genau Situationen, in denen es besonders leicht oder besonders schwer ist, Sicherheitsbedenken zu äussern. Solche klinischen Szenarien können verwendet werden, um in zielgerichteten Trainings multiprofessionell zu lernen und zu verabreden, wie man sich gegenseitig auf Situationen und Gefahren ohne Schuldzuweisungen hinweisen kann. Die Mitarbeitenden sind die wichtigste Ressource für die Patientensicherheit. Führungspersonen kommt eine entscheidende Rolle zu bei der Etablierung einer Kultur, wo das „speak up“ gelebt werden kann.
Die Studie wurde massgeblich durch die Forschungsförderung der Krebsforschung Schweiz finanziert.